Corona – Eine Generationenfrage?, Beitrag Marcus Spittler, Jugendstudie 2020

Junge Deutsche sind bereit, sich an die Maßnahmen zur Bekämpfung der Corona-Pandemie zu halten. Für sich, aber vor allem für andere. Die Solidarität zwischen den Generationen ist jedoch brüchig, denn die Jungen glauben nicht, dass ihre Interessen genug Gehör finden.

Mitte Oktober 2020 und Deutschland steht im Anstieg der zweiten Corona-Infektionswelle. Fast alle europäischen Nachbarländer melden erneut Rekord-Infektionszahlen. Zum 70. Jubiläum der Schuman-Erklärung, jenem Plan, der die gemeinsame Kohle- und Stahlproduktion Deutschlands und Frankreichs vorsah und damit den Grundstein für die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft und die spätere Europäische Union legte, war es notwendig, die Reisefreiheit zu begrenzen und Grenzen wieder zu schließen. Wie auch die Finanzkrise 2008 trifft das Coronavirus dabei die EU-Staaten mit ganz unterschiedlicher Intensität. So verhängte das am stärksten betroffene Spanien im März und April für sieben Wochen eine der strengsten Ausgangssperren weltweit. Auch Italien und Frankreich melden hohe Fallzahlen, in Paris herrschen nächtliche Ausgangssperren und wie schnell sich die Regelungen auch in Deutschland ändern müssen, steht aktuell in Frage.

Die Mahnung der Bundeskanzlerin in der gemeinsamen Pressekonferenz mit den Ministerpräsidenten nach dem sogenannten Corona-Gipfel am 14.10.2020 hätte daher eindringlicher kaum sein können: Jetzt gelte es, einen zweiten Lockdown zu verhindern, Wirtschaft und Wohlstand seien in Gefahr. Man müsse an die Zukunft der Jugend denken. Und sie sagte auch: „Gerade die Jugend ist es, an die wir jetzt appellieren müssen, lieber heute auf ein paar Feten, Feiern und Partys zu verzichten, um morgen und übermorgen gut leben zu können.“1 Ob gewollt oder nicht, die Kanzlerin stimmte damit in den Chor jener ein, die in den vergangenen Wochen das Bild einer unvernünftigen und unsolidarischen Jugend zeichneten. Gab es zu Beginn noch zahlreiche Berichte über hilfsbereite StudentInnen, die Einkäufe für ihre älteren Nachbarn übernahmen, oder besorgte Stimmen zu den verschobenen Abiturprüfungen, so schien die Stimmung im vergangenen Monat zu kippen. Dem feuchtfröhlichen Hedonismus der Jugend, so der Eindruck in der Politik, müsse man mit Sperrstunden und Alkoholverboten entgegentreten.

Doch stimmt das? Steuern wir in der Corona-Krise auf einen Generationenkonflikt zu, bei dem die Jüngeren irgendwann nicht mehr bereit sind für die Gesundheit aller, aber besonders der Älteren, zu verzichten? Oder ärgern sich nicht im Gegenteil auch viele Jugendliche über die Feiernden? Überhaupt, wie fühlen sich junge Deutsche im September 2020 und was hat sich seit Beginn diesen Jahres verändert?

Studiendesign

Klar ist, das Coronavirus hat unseren Alltag schnell und einschneidend verändert. Es scheint, als hätten Einstellungen und Meinungen aktuell nur eine kurze Halbwertszeit. Eine Befragung, wie die vorliegende Jugendstudie der TUI Stiftung, muss sich daher die Frage stellen, wie ihre Ergebnisse über den Tag hinaus relevant sein können. Das gilt insbesondere dann, wenn sie wie hier geschehen, Fragen zu den Zukunftserwartungen junger Erwachsener und ihren Vorstellungen von Generationengerechtigkeit zu ihrem Schwerpunkt macht.

Um dies zu gewährleisten, wurde hier ein zweigliedriges Vorgehen gewählt: Im Januar 2020 nahmen 6.011 junge Erwachsene im Alter von 16 bis 26 Jahren in sieben europäischen Ländern an der Befragung teil. Motiviert von den Klimaprotesten rund um Greta Thunberg hat dabei interessiert, welche Erwartungen junge Erwachsene an ihre Zukunft haben, wo sie die drängendsten Probleme sehen und wie sie auf das Thema Generationengerechtigkeit blicken. Wir interpretieren diese Januar-Befragung als eine Art vor Corona-Referenzwert, der Auskunft über den Zustand der Jugend vor der Pandemie gibt. Um nun auch Veränderungen zu erfassen, wurden im September 2020 in einem zweiten Schritt noch einmal 1.011 junge Erwachsene aus Deutschland nachbefragt. Hier hat besonders der Blick der jungen Deutschen auf die Corona-Pandemie interessiert. Die Jugendstudie der TUI Stiftung kann damit insgesamt auf Daten aus vier jährlichen Befragungen und einer Zusatzbefragung zurückgreifen, die einen guten Überblick über die mittelfristige Entwicklung von Einstellungen und Meinungen junger Erwachsener in Europa geben und gleichzeitig etwas über die Lage junger Deutscher während der Corona-Pandemie sagen.

Junge Deutsche und die Corona-Pandemie

Denn aktuell stehen junge Erwachsene für ihr Verhalten stark in der Kritik. Verkannt wird dabei jedoch zweierlei: Zum einen wird suggeriert, junge Erwachsene würden den Corona-Verordnungen besonders schlecht folgen. Dass das Gegenteil der Fall ist, zeigen die Ergebnisse der hier vorliegenden Jugendstudie. So gab eine deutliche Mehrheit von 83 Prozent an, sich an alle oder überwiegend alle Maßnahmen und Empfehlungen zur Eindämmung der Corona-Infektion zu halten. Nur ein Bruchteil von 11 Prozent hält sich nur eingeschränkt daran und ein kleiner Teil von 2 Prozent lehnt diese durchweg ab. Dieses Ergebnis steht im Einklang zu einer Studie des Robert-Koch-Instituts, das zusammen mit weiteren Instituten im COVID-19 Snapshot Monitoring die Einhaltung der Maßnahmen erforscht. Demnach hielt sich die jüngste Altersgruppe etwas geringfügiger als Ältere an die Schutzmaßnahmen, allerdings war der Unterschied so klein, dass er zuletzt statistisch nicht mehr signifikant war.2

Wichtigste Motivation für die Einhaltung der Maßnahmen ist der Gesundheitsschutz anderer. 68 Prozent halten diesen für sehr oder äußerst wichtig. Während das zu erwarten war, überrascht doch, dass 54 Prozent die besondere Wichtigkeit des Eigenschutzes hervorhoben. Das lässt zumindest daran zweifeln, dass junge Erwachsene mit einer “gezielten Durchseuchung der Gesunden”, wie sie gelegentlich diskutiert wird, wirklich einverstanden wären. Strafen spielten dagegen für die Einhaltung nur eine untergeordnete Rolle (31 Prozent). Auch die Beurteilung der Maßnahmen lässt darauf schließen, dass junge Erwachsene mit ihnen grundsätzlich einverstanden sind. So halten 52 Prozent diese für angemessen, für 23 Prozent sind sie sogar (eher) nicht ausreichend und 19 Prozent halten sich für (eher) übertrieben.

Zum Zweiten geht in der öffentlichen Diskussion gelegentlich unter, dass junge Erwachsene in der Corona-Pandemie ganz erhebliche Einschränkungen erfahren, die weit über das Verbot von Partys hinausgehen. Am häufigsten stehen noch die Einschränkungen in den Schulen und Universitäten im Fokus. Um es vorsichtig zu formulieren: Dort ist die Umstellung auf digitale Lehrformate offensichtlich höchst unterschiedlich gelungen und hängt oft stark vom Engagement einzelner Lehrenden ab. So gaben in einer Umfrage für Report Mainz im August 68 Prozent der Lehrerinnen und Lehrer an, dass es an ihren Schulen an einem schlüssigen Konzept für den digitalen Unterricht fehle3. Auch der Stifterverbandes für die deutsche Wissenschaft verwies darauf, dass unter StudentInnen Einsamkeit, Motivations- und Konzentrationsprobleme zugenommen haben. In der Jugendstudie der TUI Stiftung wurden die jungen Erwachsenen gefragt, welche Einschränkungen ihnen am schwersten gefallen sind. Gezählt wurden die wichtigsten drei. Das Home-Schooling, bzw. die Home-Office Arbeit nennt jeder Fünfte als besonders belastende Maßnahme. Betrachtet man noch einmal die 16 bis 20-Jährigen gesondert, sind es sogar 29 Prozent, die Probleme mit dem Lernen und Arbeiten zuhause äußern. Um diese Zahlen in Perspektive zu setzen, wurde die Frage nach den einschneidendsten Maßnahmen auch den älteren Deutschen gestellt. Die kamen mit der Heimarbeit offenbar besser zurecht, nur 6 Prozent der Erwachsenen ab 27 Jahren nennen hier eine besondere Belastung.

Neben den Arbeits- und Bildungsstätten sind es aber vor allem die sozialen Gelegenheiten, die den Jungen fehlen. So wies die Flensburger Bildungsforscherin Anke Wischmann darauf hin, dass sich die Debatte zu sehr auf Jugendliche in ihren Rollen als Schüler- bzw. StudentInnen beschränkt.4 Im Vordergrund stand ihrer Ansicht nach zu sehr, wie Jugendliche so schnell wie möglich in ihre Bildungseinrichtungen zurückkehren können und zu wenig, welche öffentlichen Räume und sozialen Gelegenheiten aus Sicht der Jugendlichen weggefallen sind. Ebenso hätten sich die Vertreter der Offenen Kinder- und Jugendarbeit gewünscht, als systemrelevant eingestuft zu werden. Das hätte es ihnen ermöglicht, schneller wieder Freizeitangebote für Jugendliche zu veranstalten. Auch den Jugendlichen in der Jugendstudie fällt, wie erwartet, die Reduzierung der sozialen (physischen) Kontakte am schwersten (42 Prozent). Allerdings leiden die Jugendlichen darunter weniger als die Älteren (52 Prozent). 40 Prozent belasten die Einschränkungen im Freizeitbereich, dazu gehört das eingeschränkte Vereinsleben, wie auch die Schließung von Jugendzentren und Sportstätten. Danach folgen die Mobilitätseinschränkungen, also vor allem der Verzicht auf Reisen und Urlaub (32 Prozent, bei Älteren 36 Prozent), und erst auf Platz 4 der Verzicht auf private Feiern, aber auch den Clubbesuch oder die Schulabschlussfeier (29 Prozent, bei Älteren 22 Prozent).

Man muss für den Feier-Wunsch junger Erwachsener sicher nicht uneingeschränkt Verständnis aufbringen. Doch es sei daran erinnert, dass Jugend eben auch bedeutet, sich und die Welt selbstständig zu entdecken. Dazu gehört das Ausgehen, das “sich ausprobieren”, denn im Austausch mit Freundinnen und Freunden werden wichtige soziale Kompetenzen erworben, die dann zur Emanzipation vom Elternhaus hin zur Entwicklung einer stabilen Persönlichkeit führen. Einschränkungen, die wir heute für die gesamte Bevölkerung treffen, wirken in den Altersgruppen nämlich keineswegs gleich. Es macht einen Unterschied ob ein Erwachsener eine von vielen Reisen seines Lebens nicht antritt oder eine junge Frau. Reisen ist für Junge oft nicht nur ein Urlaub, sondern eine Lebens- und Bildungserfahrung, ein Auslandssemester oder ein Sprachkurs. Wer ins Zeltlager mit Gleichaltrigen fährt, lernt sich in der Gruppe einzubringen und findet seine eigene Rolle und Identität. Junge Erwachsene befinden sich in einer Lebensphase in der in der Regel viele wichtige Entscheidungen für den späteren Lebensweg getroffen werden. Entscheidungen, die durch Erfahrungen und Austausch besser werden. Nicht alles davon, soviel ist sicher, wird nachgeholt werden können.

Neben den sozialen Einschränkungen trifft einen Teil der Jugend aber auch die materielle Unsicherheit. In Europa stieg zum ersten Mal seit der Wirtschafts- und Finanzkrise von 2008 die Jugendarbeitslosigkeit wieder merklich an. María Teresa Pérez, die Präsidentin des spanischen Jugendinstituts spricht bereits von der zweiten großen Jugendkrise in etwas mehr als einer Dekade. In der Jugendstudie der TUI Stiftung geben 19 Prozent der deutschen Jugendlichen an, dass sie sich durch die Pandemie finanziell stärker einschränken müssen, weil sie etwa ihre Beschäftigung verloren haben. Noch einmal stärker ist das in der Gruppe der 21 bis 26-Jährigen (22 Prozent). Die Zahlen müssen vor allem im Vergleich zu den Erwachsenen aufmerksam machen, denn bei den über 27-Jährigen fühlen sich nur 11 Prozent durch die Krise finanziell eingeschränkt. Damit zeigt sich in der Jugendstudie, wovor Ökonomen bereits zu Beginn der Pandemie gewarnt haben, dass junge Erwachsene besonders stark getroffen sind. Eine britische Studie kommt zu dem Schluss, dass junge Erwachsene eine zweieinhalbfach höhere Wahrscheinlichkeit haben, in einem Job oder Beruf zu arbeiten, der durch die Corona-Pandemie wegfällt.5 Das ist besonders problematisch, denn gerade bei Jugendarbeitslosigkeit, in der Frühphase der Erwerbsbiographie, besteht die Gefahr, dass sich diese Erfahrung lebenslang negativ auf die eigene Zufriedenheit und die Wahrscheinlichkeit arbeitslos zu werden auswirkt. Tatsächlich haben auch in Deutschland junge Erwachsene Probleme bei der Ausbildungsplatzsuche. Nach Modellrechnungen der Soziologin Heike Solga könnten etwa 45.000 Ausbildungsplätze in diesem Jahr wegfallen. Auch Beratungsverbände klagen, dass sie vor allem jene Jugendlichen nicht erreichen, die sie üblicherweise über den persönlichen Kontakt beraten. Ähnlich ist die Situation bei einem Teil der StudentInnen: Allein von Juni bis August wurden 135.000 Anträge auf Überbrückungshilfe positiv beschieden. Dies betraf StudentInnen, die zu diesem Zeitpunkt nicht mehr als 500 Euro in der Tasche hatten. Ebenso steigt die Verschuldung der StudentInnen, gegenüber dem Vorjahr wurden viermal so viele Anträge auf Studienkredite gestellt.6 Allerdings konnten wir in der Jugendstudie nicht feststellen, dass finanzielle Problemlagen von der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe abhängig sind. Hier zeigt sich bei den Jungen ein Muster, dass wir schon an anderer Stellen beobachten konnten. Probleme der Corona-Krise treten nicht in klar benennbaren Berufsgruppen oder Schichten auf, sondern sind individuell und von der konkreten Lebenssituation abhängig. Nicht für alle Schüler- oder StudentInnen ist die Pandemie dramatisch, aber für einen Teil.

Generationengerechtigkeit in Deutschland

Angesichts dieser Probleme ist es bedauerlich, dass junge Deutsche den Eindruck haben, Politikerinnen und Politiker würden ihre Interessen nicht ausreichend berücksichtigen. Im Januar 2020 meinten 44 Prozent von ihnen, dass vor allem die Interessen der Älteren gehört werden. Dieser Eindruck hat sich im Verlauf der Pandemie noch leicht verstärkt (48 Prozent im September 2020). Deutschland ist, das zeigt der europäische Vergleich, bereits mit schlechten Voraussetzungen in die Pandemie gestartet. In keinem anderen Land werden so starke Konflikte zwischen Alt und Jung wahrgenommen. So sehen 54 Prozent der Jungen einen Generationenkonflikt, im Nachbarland Frankreich sind es nur 32 Prozent. Die deutsche Situation ähnelt damit immer stärker der von Großbritannien. Dort ist spätestens seit dem Brexit-Votum, bei dem die Jüngeren für einen Verbleib in der Europäischen Union gestimmt hatten, ein Generationenkonflikt deutlich geworden.

Doch woher kommt dieser Eindruck bei den jungen Deutschen? Klar ist, das Verhältnis zu den Älteren ist nicht grundsätzlich feindselig. So gestehen 68 Prozent der Jungen zu, dass es nicht einfach ist, sich zwischen Generationen zu einigen, was am besten für die Gesellschaft ist. Auch haben junge Deutsche kein Interesse den Generationenvertrag aufzukündigen und nur eine Minderheit von ihnen nimmt ältere Menschen als Last wahr (25 Prozent). Für die Jungen gibt es vor allem einen Interessenskonflikt hinsichtlich ihrer Zukunft. Diese wird durch das Wahlverhalten der Älteren gefährdet, dieser Aussage stimmen 61 Prozent zu. Auch glauben nur 30 Prozent der Jungen, dass es der älteren Generation wichtig sei, Deutschland in einem Zustand zu hinterlassen, in dem man auch in Zukunft noch gut leben kann. Unter den Jungen selbst ist dies 60 Prozent wichtig.

Der Generationenkonflikt ist in Deutschland vermutlich auch so stark, weil hierzulande spätestens seit der Fridays for Future-Bewegung ein Diskurs über die “geklauten Zukunft der Jugend” in Klima- und Umweltfragen entstanden ist. Sowenig jedoch die Schülerproteste wirklich für eine „ganze Generation“ stehen (auch in der vorliegenden Jugendstudie der TUI Stiftung sind bei Weitem nicht alle Jugendliche von der Wichtigkeit des Klimaschutzes überzeugt), so sehr stoßen sie auch auf die Sympathie bei Älteren, die als Parents, Omas oder Scientists for Future teilnehmen. Statt einer sozialen Realität sind Generationenkonflikte oft nur ein Frame, also eine alternative Betrachtung eines Konflikts. Die britische Soziologin Jennie Bristow bezeichnet den Generationenkonflikt-Frame gar als Ablenkung, denn er verschiebt aus ihrer Sicht den Konflikt weg von Interessens-, Vermögens- und Einkommensunterschieden hin zu eher symbolischen Fragen. Themen wie Umweltschutz als Generationenkonflikt zu markieren erfüllt aus ihrer Sicht eine Funktion: Jung gegen Alt konstruiert In- und Out-Groups, schafft Anknüpfungspunkte und Gruppenidentitäten, die sowohl GegnerInnen als auch BefürworterInnen zur Mobilisierung nutzen. Wenn deutsche Spitzenpolitiker der Aktivistin Greta Thunberg Sätze zurufen wie “Mädchen, eine bessere Jugend als du hatte noch niemand”, dann verstärkt das den Eindruck, in der Klimafrage stünden vor allem Junge gegen Alte. Unterschiede zwischen den Generationen erscheinen dann größer als sie tatsächlich sind. Das ist eine wichtige Botschaft auch für die Bewältigung der Corona-Pandemie, denn wie man oben sehen konnte, unterscheiden sich die Jüngeren von den Älteren bei der Einhaltung der Maßnahmen weniger, als man es dem Diskurs nach erwarten würde.

Man muss einschränkend anmerken, dass der Generationenkonflikt nicht die zentrale Konfliktlinie ist, auch nicht bei jungen Erwachsenen. Größeres Konfliktpotential sehen junge Deutsche in der zunehmenden politischen Polarisierung zwischen Links und Rechts und zwischen armen und reichen Menschen. Bemerkenswert ist auch, dass sich dort nur geringfügige Veränderungen über den Verlauf der Pandemie ergeben haben. Mit einer Ausnahme: Vor allem junge Frauen sehen zunehmend einen Konflikt zwischen Mann und Frau. Einen starken Geschlechterkonflikt nahmen im September 45 Prozent der jungen Frauen wahr, gegenüber 30 Prozent bei den Männern. Vor dem Hintergrund, dass viele BeobachterInnen durch die Corona-Krise eine Retraditionalisierung der Geschlechterrollen und durch den Lockdown eine Zunahme häuslicher Gewalt befürchten, gilt es dieses Ergebnis genauer zu beobachten.

Next Generation EU – Die Chance auf ein neues Gemeinschaftsprojekt

Die Jungen sehen einen Generationenkonflikt also vor allem hinsichtlich ihrer Zukunft. Trotz der Viruskrise hält noch immer eine Mehrheit von 51 Prozent der deutschen Jugendlichen das Thema Umwelt- und Klimaschutz für das Wichtigste in der EU. Seit Januar 2020 fiel die Themenrelevanz nur leicht von 55 Prozent ab. Zweitwichtigstes Thema ist die Migrations- und Asylpolitik, auch hier gab es nur einen leichten Abfall von 45 auf 41 Prozent. Es erstaunt, dass Themen wie Wirtschafts- und Finanzpolitik (von 18 auf 23 Prozent) oder die Gesundheitspolitik (von 16 auf 18 Prozent) in der Wichtigkeit nicht stärker zwischen Januar und September 2020 zulegen konnten. Es scheint, als sei das Umweltthema nachhaltig auf die Agenda der jungen Erwachsenen gerückt, und zwar nicht nur in Deutschland. In der europaweiten Befragung in Januar lag das Thema Umwelt in allen Ländern auf Platz 1 außer in Griechenland und Italien, wo es am zweitwichtigsten war.

Von der europäischen Jugend gibt es also viel Rückenwind für die Green Deal-Pläne der Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, die ein klimaneutrales Europa bis 2050 vorsehen. Schon in der vergangenen Europawahl 2019 kam es zu einer erstaunlichen Mobilisierung der jüngste Wählergeneration, die für die gestiegene Wahlbeteiligung insgesamt, aber auch für eine erhebliche Stimmverschiebung zugunsten grüner Parteien verantwortlich war.7 Junge Menschen unterscheiden sich in ihrer Wahlentscheidung ganz erheblich von den Älteren. Auch die Zustimmung zur europäischen Integration ist unter jungen Erwachsenen ungebrochen hoch. In der Befragung im Januar votierten 44 Prozent der europäischen Jugendlichen dafür, dass die Verbindung zwischen den EU-Ländern enger werden sollte, 20 Prozent finden das aktuelle Verhältnis genau richtig, nur 18 Prozent wünschen sich weniger Integration. Damit bleibt die Zustimmung zur Integration stabil auf dem hohen Niveau des Vorjahres.

Und diese Unterstützung kann die Europäische Union gebrauchen. Denn etwas abseits von der Medienaufmerksamkeit vollführt sie aktuell einen starken Integrationsschub. Zum ersten Mal nimmt die EU im Corona-Hilfsprogramm Next Generation EU eigene Schulden in Höhe von 750 Milliarden auf und läutet damit einen Paradigmenwandel ein, hin zu einer Gemeinschaftsverschuldung. Die im September 2020 dazu befragten jungen Deutschen unterstützen diese Pläne. 35 Prozent finden sie gut oder sehr gut, 28 Prozent sind geteilter Meinung und nur 14 Prozent lehnen die Pläne ab. Allerdings können sich vergleichsweise viele keine Meinung dazu bilden (23 Prozent). Europäischen Themen fehlt es auch in der junge Generation noch immer an geeigneten Vermittlungsinstitutionen. Dennoch, die Jugendstudie der TUI Stiftung zeigt, junge Erwachsene sind pro-europäisch und für mehr Integration. Und nicht nur in Deutschland haben sie ein neues Gemeinschaftsprojekt entdeckt: Die Bekämpfung des Klimawandels, trotz der Pandemie.

Corona-Bekämpfung kann nur mit der Jugend gelingen

Wie ist es nun also um die deutsche Jugend in der Corona-Pandemie bestellt? Sicher ist schon heute, dass sich die Welt, ähnlich wie nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 oder dem Fall des Eisernen Vorhangs, in eine Zeit vor und nach dem Coronavirus einteilen lassen wird. Junge Erwachsene, die aktuell ihre wichtigsten Sozialisationserfahrungen machen, wird die Pandemie langfristig prägen. Deshalb sollte man jetzt darauf achten, dass bei der nächsten Möglichkeit zur Lockerung auch die Interessen und Bedürfnisse der Jungen gehört werden. Sie sind eben nicht nur Auszubildende, SchülerInnen oder StudentInnen, sondern brauchen soziale Kontakte, Freiräume zur Entfaltung und keine finanzielle Unsicherheit. Die Jugendstudie der TUI Stiftung hat gezeigt, dass junge Deutsche bereit sind, die Einschränkungen mitzumachen, ja manchem gehen sie nicht weit genug. Allerdings, das zeigt der europäische Vergleich, das Verhältnis zwischen den Generationen ist in Deutschland brüchig und nicht übermäßig belastbar. Man kann daher nur davor warnen, die Generationen gegeneinander auszuspielen. Der Virologe Christian Drosten hat den gesellschaftlichen Zusammenhalt als die wichtigste Ressource bei der Pandemiebekämpfung bezeichnet. Diesen Zusammenhalt sollten wir nicht durch unnötiges polarisieren zwischen den Generationen leichtfertig verspielen. Denn der Kampf gegen die Pandemie ist ein Marathonlauf und die Solidarität der Jugend sicher nicht endlos.

Marcus Spittler ist wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Abteilung Demokratie und Demokratisierung am Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB).

 

Quellenverzeichnis

  1. “Presseunterrichtung nach der Konferenz mit den Regierungschefs und -chefinnen der Länder” vom 14.10.2020 ab Minute 24: https://www.bundeskanzlerin.de/bkin-de/mediathek/live-aus-dem-kanzleramt/presseunterrichtung-nach-der-konferenz-mit-den-regierungschefs-und-chefinnen-der-laender-1798570!mediathek?query= (abgerufen am 22.10.2020).
  2. Betsch, Cornelia et al. (2020). “COVID-19 Snapshot Monitoring (COSMO Germany) – Wave 20 [Data set]”. PsychArchives. https://doi.org/10.23668/PSYCHARCHIVES.4223, Zusammenfassung vom 18.09.2020 basierend auf https://projekte.uni-erfurt.de/cosmo2020/archiv/21-01/cosmo-analysis.html (abgerufen am 22.10.2020).
  3. “Schulen digital kaum gewappnet”, in Tagesschau.de vom 17.08.2020. https://www.tagesschau.de/inland/corona-lehrer-101.html (abgerufen am 22.10.2020).
  4. “Stillstand statt Sturm und Drang – Corona und Jugendliche”, in Gespräche über den Zustand der Welt vom 26.05.2020. https://youtu.be/oLazwhBbUiM (abgerufen am 22.10.2020).
  5. Joyce, Robert und Xiaowei Xu (2020). „Sector shutdowns during the coronavirus crisis: which workers are most exposed?“. https://www.ifs.org.uk/publications/14791 (abgerufen am 22.10.2020).
  6. Winde, Mathias, Said D. Werner u. Barbara Gumbmann (2020). “Hochschulen, Corona und jetzt?”. Future Skills Analysen. https://www.future-skills.net/download/file/fid/340 (abgerufen am 22.10.2020).
  7. “2019 European elections: Record turnout driven by young people”, in European Parliament Press Releases. https://www.europarl.europa.eu/news/en/press-room/20190923IPR61602/2019-european-elections-record-turnout-driven-by-young-people (abgerufen am 22.10.2020).

Thomas Spittler

Download des Aufsatzes Corona – Eine Generationenfrage von Marcus Spittler.