Jugendstudie 2023

  • Pessimismus auf dem Vormarsch: Jugendliche schauen zunehmend negativer auf ihre eigene Zukunft
  • Trend zeigt nach unten: 52% der befragten 16- bis 26-Jährigen in Europa denken, dass es ihnen schlechter gehen wird als ihren Eltern
  • Ungleichheitsempfinden ist groß – 74 Prozent sehen große Unterschiede zwischen sozialen Schichten, insbesondere bei Einkommen, Wohnen, Vermögen und Karrieremöglichkeiten
  • Vertrauensverlust: Nur zehn Prozent haben Vertrauen in Parteien
  • Stabilitätsanker? Vertrauen in EU-Institutionen bleibt hoch 

Junge Europäerinnen und Europäer glauben mehrheitlich nicht mehr daran, dass sie es besser haben werden als ihre Eltern. Sie werden zunehmend pessimistischer, was ihre eigene Situation angeht. Zudem wächst das Ungleichheitsempfinden. Bei dem Thema Einkommen, aber auch bei den Aspekten Wohnen oder Karrieremöglichkeiten nehmen die 16-bis 26-Jährigen derzeit die größte Ungleichheit wahr. In der Altersgruppe ist mit Blick auf die nationale Politik eine rückläufige Zufriedenheit mit der Demokratie zu beobachten. Die Europäischen Union genießt demgegenüber größeres Vertrauen. Das zeigt die siebte repräsentative Jugendstudie „Junges Europa“ der TUI Stiftung, die heute in Berlin vorgestellt wurde. Das Meinungsforschungsinstitut YouGov befragte dazu im März 2023 mehr als 7.000 Menschen zwischen 16 und 26 Jahren in Deutschland, Großbritannien, Frankreich, Spanien, Italien, Griechenland und Polen. 

Positive Grundstimmung auch in Polen und Deutschland vorbei 

Unter den befragten jungen Menschen sind 52% der Meinung, dass es ihnen schlechter gehen wird als ihren Eltern, nur 22% glauben an eine Verbesserung. Noch am zuversichtlichsten sind die Befragten in Polen und Deutschland. Beides sind Länder, in denen junge Menschen in den Jahren zuvor immer deutlich optimistischer in die Zukunft schauten und mehrheitlich eine Verbesserung ihrer Situation im Vergleich zur Situation ihrer Eltern erwarteten. Doch diese positive Grundstimmung ist nun auch in Polen und Deutschland vorbei. Der russische Angriffskrieg auf die Ukraine hat der langjährigen Zuversicht offenbar stark zugesetzt. Unter deutschen Jugendlichen glauben derzeit 44 Prozent an eine Verschlechterung und 27 Prozent an eine Verbesserung hinsichtlich Einkommen und Lebensstandard im Vergleich zu ihren Eltern.

Auf die Frage: „Wenn Sie an die Zukunft denken, sind Sie dann generell eher optimistisch oder pessimistisch in Bezug auf Ihre persönliche Situation?“, antworteten vor allem Jugendliche in Polen, Griechenland und Großbritannien deutlich negativer als in den vergangenen Jahren. 2017 sagten 78 Prozent der Befragten in Polen und 65 Prozent in Großbritannien, sie seien „eher oder sehr optimistisch“. 2023 sind es nur noch 58 und 54 Prozent. In Griechenland waren 71 Prozent in 2017 optimistisch eingestellt, in 2023 sind es 63 Prozent. Auch in Deutschland betrachten junge Menschen die eigene Lebenssituation zunehmend pessimistisch: 2017 schauten 64 Prozent darauf „eher oder sehr optimistisch“, 2023 dann nur etwas mehr als die Hälfte der Befragten (56 Prozent).

Junge Menschen, die den Lebensstandard ihres Elternhauses als überdurchschnittlich beschreiben, blicken im Verhältnis von 67% (optimistisch ) zu 29% (pessimistisch) in die Zukunft. Bei jungen Menschen mit – nach eigenen Angaben – unterdurchschnittlichem Lebensstandard des Elternhauses zeigt sich dagegen ein gespaltenes Bild: 50% Optimismus, 46% Pessimismus. Dabei scheint sich der Pessimismus in allen befragten Ländern stärker durch die nationale Wirtschaftslage (diese bezeichneten 57 Prozent aller Befragten als eher oder sehr schlecht) als aus der persönlichen finanziellen Situation (27 Prozent eher oder sehr schlecht) zu speisen.

„Der Trend zeigt eindeutig nach unten. Der Optimismus junger Menschen in Europa schwindet, der Pessimismus ist auf dem Vormarsch. Das passiert nicht sprunghaft, sondern schleichend. Einen einschneidenden „Ukraine“- oder „Corona-Effekt“ gibt es aber nicht. Das Lebensgefühl junger Europäer und Europäerinnen trübt sich längerfristig und kontinuierlicher ein. Das bedeutet nach vorne schauend: Eine plötzliche Trendumkehr ist nicht sehr wahrscheinlich“, sagt der Politikwissenschaftler Thorsten Faas von der FU-Berlin, der die Studie wissenschaftlich begleitet hat. 

Ungerechtigkeitsempfinden bei Arbeit und Finanzen sowie Wohnen besonders groß

Soziale Unterschiede sind jungen Europäerinnen und Europäern – unabhängig vom eigenen wirtschaftlichen Wohlstand – sehr bewusst. Insgesamt ist das Ungleichheitsempfinden sehr groß: 68 Prozent sagen, das Einkommen im eigenen Land sei „sehr“ oder „eher“ ungleich verteilt, mit Blick auf die Themen Wohnen und Immobilien sind es 62 Prozent. Ähnlich sieht es bei Karrieremöglichkeiten und Vermögen aus, da sind es 61 bzw. 60 Prozent, die finden, dass die Chancen „sehr“ oder „eher“ ungleich verteilt sind. 

Chancenungleichheit herrscht nach Ansicht der jungen Menschen auch in den Bereichen Schule und Bildung. Das zeigt sich besonders in der Frage, von welchen Faktoren es abhängt, ob jemand künftig Erfolg hat oder nicht. Der Zugang zu Bildung ist für 48 Prozent der Befragten dafür „sehr wichtig“ und für 32 Prozent „eher wichtig“. Auf Platz zwei folgt Einkommen („sehr wichtig“: 44 Prozent, „eher wichtig“: 35 Prozent), es folgen Karrieremöglichkeiten sowie soziale Kontakte und Beziehungen. 

Insgesamt stimmen mehr als die Hälfte (55 Prozent) aller Befragten der Aussage nicht zu, dass alle im Land die gleichen Bildungschancen hätten. In Polen sind es nur 43 Prozent, in Großbritannien aber 66 Prozent. Ähnlich verhält es sich beim Thema Ausbildung. Insgesamt 53 Prozent sagen, der Auffassung „Jeder im Land kann sich eine gute Ausbildung leisten“ würden sie nicht zustimmen. 67 Prozent sind es sogar in Griechenland, in Polen nur 44 Prozent. Dass es möglich ist, durch einen guten Schulabschluss im Leben voranzukommen, stimmen 74 Prozent der deutschen Befragten zu, aber nur 40 Prozent der Polen und nur 29 Prozent der jungen Griechen. 

„Über alle Länder hinweg bewerten gerade einmal fünf Prozent das Bildungssystem in ihrem Land als „sehr gut“, ein weiteres Drittel als „eher gut“. Auf der einen Seite ist es gesellschaftlicher Konsens, dass Bildung der beste Weg ist, um ein selbstbestimmtes, erfülltes Leben zu führen. Auf der anderen Seite stellen diejenigen dem Bildungssystem ein miserables Zeugnis auf, die doch von ihm profitieren sollen. Nicht einmal die Hälfte der jungen Europäerinnen und Europäer – nämlich nur 38 Prozent – sehen gleiche Bildungschancen für alle. Bereits der Start ins Erwachsenenleben beginnt also oft mit einem starken Ungerechtigkeitsempfinden. Bildungsgerechtigkeit gehört deshalb auf die Priotitätenliste der politischen Agenda“, sagt die Geschäftsführerin der TUI Stiftung, Elke Hlawatschek. 

Das hohe Ungleichheitsempfinden trägt zum schwindenden Vertrauen junger Menschen in die politischen Institutionen bei. Sie fühlen sich oft von der Politik nicht gesehen und sind unzufrieden mit den bestehenden Demokratien. Ein Viertel der jungen Europäer und Europäerinnen (26 Prozent) fühlt sich „überhaupt nicht“ von der Politik vertreten, ein Drittel „kaum“ (33 Prozent). Im Ländervergleich schneidet Deutschland noch am positivsten ab, nur 18 Prozent sagen, sie fühlen sich „überhaupt nicht“ von der Politik vertreten, 31 Prozent „kaum“. Schlusslicht ist Griechenland mit 39 bzw. 31 Prozent. 

Mit Blick auf die Zufriedenheit mit dem demokratischen System im eigenen Land schneidet Deutschland im Länder-Vergleich zwar gut ab, allerdings steigt auch hier die Unzufriedenheit. 2019 und 2020 waren 21 Prozent „sehr oder eher unzufrieden“, 2023 bereits 30 Prozent. Ganz hinten liegen Polen und Griechenland: In Polen sind in diesem Jahr 57 Prozent „sehr oder eher unzufrieden“ (2019 waren es 31 Prozent); in Griechenland sind es aktuell 70 Prozent (2019 waren es 56 Prozent).

Wählen bleibt für junge Menschen wichtig

Trotz wachsender Unzufriedenheit mit der Demokratie im eigenen Land bleibt der Gang zur Urne vor allem für junge Deutsche wichtig. 68 Prozent sagen „Wählen ist Bürgerpflicht“, aber weniger als die Hälfte (48 Prozent) gibt an, in Schule und Ausbildung gut auf das Wählen vorbereitet zu werden. Etwas mehr als ein Drittel (34 Prozent) zeigt sich desillusioniert und sagt, bei Wahlen komme es auf die eigene Stimme des Einzelnen nicht an. 

In den anderen Ländern sind die Ergebnisse noch deutlicher. Mehr als die Hälfte (55 Prozent) der jungen Europäer und Europäerinnen sind der Meinung, dass „Leute wie sie“ keinen Einfluss darauf haben, was die Regierung macht. 70 Prozent der jungen Befragten stimmen der Aussage zu, dass Politiker und Politikerinnen zu viel reden und zu wenig handeln. Insgesamt nimmt die Politikverdrossenheit und grundlegende Skepsis und damit die Empfänglichkeit für populistische Argumente, zu – vor allem in Großbritannien, Griechenland und Polen.

„Das Vertrauen junger Menschen ist niedrig, aber zugleich sind ihre Erwartungen an den Staat und politische Akteure größer und vor allem vielschichtiger geworden. Sie fordern, dass etwa Menschen mit geringen oder mittleren Einkommen oder mit Migrationshintergrund stärker als bisher in der Politik zu berücksichtigen. Das ist überall in Europa zu beobachten“, sagt Faas. 

Befragte wünschen sich engere Beziehungen zwischen den EU-Ländern 

Vergleichsweise gut schneiden die Institutionen der Europäischen Union (EU) ab. In allen Ländern der TUI-Studie ist das Vertrauen in die EU größer als in die nationalen Regierungen und Parlamente: 32 Prozent aller Befragten vertrauen der EU, nur 16 Prozent der Regierung des jeweiligen Landes. Das Vertrauen in politische Parteien ist am geringsten, nämlich nur 10 Prozent.

Vier von zehn jungen Europäern und Europäerinnen (43 Prozent) wünschen sich eine engere Beziehung zwischen den EU-Ländern und würden es begrüßen, wenn die Mitgliedsländer mehr Zuständigkeiten an die EU abgäben. In Deutschland sind es 39 Prozent der Befragten, in Italien sogar 51 Prozent. 

Politische Beteiligung und Engagement? Ja, aber in Grenzen

Grundsätzlich begrüßen die Befragten verschiedene Formen, den eigenen politischen Standpunkt zum Ausdruck zu bringen. Der Antrieb, aktiv dabei zu sein, ist aber deutlich weniger ausgeprägt. Demonstrationen und Versammlungen halten 74 Prozent aller Befragten für gerechtfertigt, aber nur die Hälfte davon (37 Prozent) würde selbst daran teilnehmen. Wahlen finden insgesamt unter allen Befragten – von denen noch nicht alle wahlberechtigt sind – 75% gerechtfertigt, 54% würden auch selbst daran teilnehmen, 21% würden selbst nicht daran teilnehmen. 

Allerdings ist im Zeitvergleich ein negativer Trend der Einstellungen in Bezug auf Wahlen beobachtbar. In Deutschland sagten noch 2021 82 Prozent der Befragten, Wahlen würden korrekt und fair abgehalten, 2023 waren es nur noch 63 Prozent. Diese Entwicklung ist auch in fast allen anderen Ländern zu beobachten, eine Ausnahme bildet Spanien. 

Für nicht gerechtfertigt halten die 16- bis 26 -jährigen illegale Mittel wie Hackerangriffe (45 Prozent) und Sachbeschädigung (56 Prozent). Rund ein Drittel (35 Prozent) der Befragten sagt, dass Mittel des zivilen Ungehorsams einem Anliegen eher schaden. 

Gesamtstudie „Junges Europa 2023“ – Die Jugendstudie der TUI Stiftung
Broschüre „Junges Europa 2023“ – Die Jugendstudie der TUI Stiftung
Pressemeldung zur Jugendstudie 2023