Bei der Organisation unserer Reiseroute war Polen für uns von besonderem Interesse. Das Land ist ein relativ neues EU-Mitglied und wir waren gespannt wie die Einstellung zur EU besonders bei jungen Menschen war. Wir erwarteten einen Unterschied zwischen den dortigen Meinungen und denen, die wir zuvor in Westeuropa gesammelt hatten.
Zentral-Osteuropa wird als ökonomisch unterentwickelt stigmatisiert. Aber sowohl Warschau als auch Krakau zeigten sich von ihrer besten Seite. Seit der Aufnahme im Jahr 2004 hat Polen erheblich von der EU profitiert und ein starkes Wirtschaftswachstums erlebt. Zu sagen, dass wir angenehm überrascht waren, wäre eine Untertreibung. Beide Städte haben eine beeindruckend effiziente Infrastruktur, die von vielen Touristen genutzt wird.
Warschau, eine sehr moderne und saubere Stadt, ermutigt zu Erkundungstouren durch ihr geschäftiges Zentrum. Im Zweiten Weltkrieg beinahe komplett zerstört, wurde die Stadt gänzlich wieder aufgebaut. Ein besonderes Gebäude aus dieser Zeit ist der Kultur- und Wissenschaftspalast, eines der höchsten Gebäude Polens sowie des gesamten europäischen Kontinents – ein Symbol für Vergangenheit und Zukunft zugleich. Neben der Erkundung der Innenstadt konnten wir außerdem einem Chopin-Konzert lauschen und traditionelle polnische Pierogi essen.
Im Gegensatz zu Warschau steht Krakau. Vom Zweiten Weltkrieg beinahe verschont, hat es seine mittelalterliche Architektur bewahrt. Um die Stadt herum läuft eine 3 km lange Verteidigungsmauer, und viele der 46 mittelalterlichen Türme sind noch intakt. Die Stadt lässt sich gut mit dem Fahrrad erkunden, was wir taten um die diversen historischen und kulturellen Punkte zu sehen. Ein Highlight war der berühmte St. Mary’s Trumpet Call, auf Polnisch Hejnał mariacki – eine polnische Fünfklanghymne, die stündlich auf der Spitze des zentralen Kirchturms gespielt wird. Sie ist ein Symbol der Geschichte und der Traditionen Krakaus.
Wir haben in beiden Städten junge Menschen getroffen und mit ihnen diskutiert. Beatia (21), eine Studentin an der Warschauer Universität, die Handelspolitik studiert, äußerte ihre Besorgnis über die regierende Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS): „Sie verstoßen auf subtile Weise gegen die Rechtsstaatlichkeit.“
In Krakau trafen wir Veronica (22), eine Psychologiestudentin an der Jagiellonen-Universität, die glaubt, dass die undemokratischen Tendenzen der Regierung die Prinzipien ganz Europas gefährden. Sie betonte, dass viele junge Menschen aufgrund der innenpolitischen Situation auf Europa hoffen. Sie selbst ist stolz darauf, Europäerin zu sein und einer größeren Einheit anzugehören als die ihrer Landesgrenzen. Für sie selbst ist die EU eine Chance auf ein höheres Lebensniveau und mehr Gehalt. Eine Chance für sie, die jedoch ein Problem für das Land darstellt: Polen leidet unter dem „brain drain“ – zu Deutsch „Gehirnschwund“. Ein Phänomen was vor allem in Südeuropa auftritt, wie auch Onur auf seinen Reisen letztes Jahr feststellen konnte. Das Grundproblem ist, dass die Freizügigkeit in der EU dazu geführt hat, dass junge, gut ausgebildete Polen in andere Länder Europas ziehen, mit der Hoffnung auf höhere Löhne und finanzielle Sicherheit. Im Jahr 2017 lebten mehr als eine halbe Million Polen in einem anderen EU-Land. Ein besonders beliebtes Land ist das Vereinigte Königreich, Polnisch ist dort die zweitmeist gesprochene Sprache.
Wir hatten eine gute Woche in Polen, aber uns ist klar geworden, dass die Regierung mehr tun muss, um das Land für junge Menschen zu einem attraktiveren Wohnort zu machen. Besonders nach unserem Aufenthalt in Schweden, war der Kontrast zwischen den unterschiedlichen Entwicklungsständen der verschiedenen Länder Europas deutlich.
Mehr zu unserer Reise gibt’s auf Instagram: @tuistiftung